Die Apotheken sind in großer politischer Gefahr
(Münster, 11. April 2017) Das von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) als Reaktion auf das EuGH-Urteil vom 19. Oktober 2016 geplante Versandhandelsverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel scheint vorerst blockiert. CDU/CSU und SPD konnten im Rahmen eines Koalitionsgipfels keine Einigung erzielen. Dabei hatte sich der Bundesrat im Vorfeld mit deutlicher Mehrheit für ein Versandhandelsverbot ausgesprochen – genauso wie, mit Ausnahme der FDP, sämtliche Parteien in Nordrhein Westfalen, allen voran NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Bündnis 90/Die Grünen). Sogar NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hatte für ein Rx-Versandverbot plädiert.
Für die bewährte Arzneimittelversorgung und das deutsche Gesundheitssystem wäre die Nichtumsetzung des Gesetzentwurfs in der laufenden Legislaturperiode ein herber und gefährlicher Rückschlag. Weder die Fakten noch das Wohl der Patienten und deren wohnortnahe Versorgung hätten gesiegt, sondern die Interessen kapitalstarker ausländischer Versandhändler. Diese könnten nun weiterhin auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherungen Boni gewähren und damit die flächendeckende Versorgung existentiell gefährden.
Die Apotheken sind mit dem Scheitern des Gesetzentwurfs in großer Gefahr. Das Risiko eines ruinösen Preiswettbewerbs und des damit einhergehenden Verlustes tausender Arbeitsplätze haben maßgebliche Politiker offensichtlich immer noch nicht erkannt. Die Blockadehaltung einzelner Verantwortlicher der Großen Koalition gefährdet aber nicht nur die Apotheken, sondern vor allen Dingen das Patientenwohl: Die drohende Entfesselung eines Preiswettbewerbs unter den Apotheken führt zwangsläufig zu einer Verschlechterung der Versorgung in der Fläche und im Nacht- und Notdienst.
In einem Flächenland wie Nordrhein-Westfalen ist diese Gefahr besonders groß. In einigen ländlichen Regionen ist es nicht selten schon jetzt schwierig, alle Bürger in der gewünschten Qualität versorgen zu können. Wir Apotheker in Westfalen-Lippe werden daher nicht nachgeben und fordern weiterhin, dass die Politik ihrer Verantwortung für eine sichere und zuverlässige Versorgung mit Arzneimitteln gerecht wird – unabhängig von Standort, Wochentag und Tageszeit.
Wenn verschreibungspflichtige Arzneimittel allerdings weiterhin versandt werden dürfen, dann wird es ohne Preisbindung nicht mehr lange dauern, bis die Krankenkassen unter Hinweis auf das Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 12 Sozialgesetzbuch V - SGB V) beginnen, ihre Patienten zugunsten von Versendern von der bisherigen Versorgung durch die Präsenzapotheken wegzusteuern. Damit verlieren die Bürgerinnen und Bürger die Wahlfreiheit zur Auswahl der Apotheke ihres Vertrauens. Dies würde den Anfang vom Ende der deutschen Präsenzapotheke bedeuten. Außerdem wäre die gesamte Systematik des SGB V in Gefahr, die etwa im Bereich der Zuzahlungen oder Festbeträge maßgeblich auf einem einheitlichen Abgabepreis fußt.
Immerhin sind sich alle politischen Akteure einig, dass die im Zuge des EuGH-Urteils eingetretene Wettbewerbsverzerrung zwischen Versendern aus dem EU-Ausland und deutschen Apotheken nicht hinnehmbar ist. Die zu diesem Thema von der Bundes-SPD bislang unterbreiteten Vorschläge überzeugen allerdings in keiner Weise.
In jedem Fall müssen sich alle künftigen Vorschläge aus der Politik an einem Versandhandelsverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel messen lassen. In 21 von 28 EU-Staaten existiert ein solches Verbot. Nach Ansicht namhafter Experten ist ein Verbot die einzige Möglichkeit, um die drohenden Gefahren für Apotheken, Patienten und Verbraucher und letztlich das deutsche Gesundheitssystem abzuwenden. Wir werden alles daran setzen, dieses Thema sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene auf der politischen Agenda zu halten. Chancen für entsprechende Initiativen bestehen jetzt, denn die NRW-Landtagswahl findet am 14. Mai und die Bundestagswahl am 24. September 2017 statt.
Wie auch immer die Politik beim Thema Rx-Versandhandel entscheidet: Die Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel gilt in Deutschland nach wie vor uneingeschränkt. Jeden Versuch, sie auszuhöhlen oder gar abzuschaffen, lehnen wir klar ab. Die zuständigen Behörden fordern wir dazu auf, bei Verstößen gegen die Arzneimittelpreisverordnung konsequent einzugreifen. Die Politik steht in der Pflicht, den für ein funktionierendes, qualitativ hochwertiges und das Patientenwohl in den Mittelpunkt stellendes Gesundheitssystem unablässigen Ordnungsrahmen wiederherzustellen.