Parteiübergreifender Konsens bei Versandverbot. Fast.
(Münster, 28. März 2017) Über 120 Apothekerinnen und Apotheker sowie einige interessierte Bürger kamen am Montagabend zur politischen Diskussionsrunde „Gesundheitspolitik im Fokus“ in die Stadthalle Hiltrup. Apothekerkammer und Apothekerverband Westfalen-Lippe hatten im Vorfeld der Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen am 14. Mai und der Bundestagswahlen am 24. September geladen, um das Thema Gesundheit und Arzneimittelversorgung in den politischen Fokus zu rücken.
„PTA-Ausbildung soll zukünftig nicht mehr von der Apothekerschaft finanziert werden“
Dem Berufsnachwuchs widmete sich der erste Teil der Politischen Diskussionsrunde. „Jedes Jahr schließen 80 bis 100 Studierende in Westfalen-Lippe das Pharmaziestudium ab. Das reicht bei weitem nicht aus, um den Bedarf an Apothekerinnen und Apothekern in unserem Landesteil in Zeiten des demographischen Wandels und immer komplexerer Arzneimitteltherapien gerecht zu werden“, führte Kammerpräsidentin Gabriele Regina Overwiening in die Diskussion ein. Sie verband die Bestandsaufnahme mit der Forderung an die Politik, zukünftig neben Münster einen zweiten Studienstandort im Landesteil zu etablieren, vorzugsweise in Bielefeld. „Die ungewöhnliche Situation, dass in Münster etwas für Bielefeld gefordert wird“ (so Moderator Dr. Norbert Tiemann) stieß ebenso bei Linken-Politikerin Katrin Vogler („Es ist sinnvoll, darüber nachzudenken“) wie bei der FDP-Vertreterin Susanne Schneider auf offene Ohren: „Meine Partei steht für mehr gestalterische Möglichkeiten für die Hochschulen und für eine Stärkung der gesundheitlichen Versorgung. Bielefeld würde sich dafür anbieten.“
Michael Scheffler verwies für die SPD-Landtagsfraktion auf den positiven Trend in NRW: „Im Jahr 2010 gab es in unserem Bundesland 2.419 Studienplätze für Pharmazie. Jetzt, keine sieben Jahre später, es sind bereits 3.148, also ein Zuwachs um 30 Prozent.“ Oskar Burkert hielt der Landesregierung vor, sich erst vor wenigen Tagen im Landtag erneut gegen Bielefeld als Standort für eine neue medizinische Fakultät ausgesprochen zu haben. Mit Blick auf die universitäre Ausbildung von Medizinern und Pharmazeuten kündigte er an: „Wir wollen das ändern.“ Die Realitäten an den Hochschulen nahm Gesundheitsministerin Barbara Steffens in den Blick: Pharmazie und Medizin gehörten mit Abstand zu den teuersten Studiengängen, was nicht unbedingt den Anreiz an den Hochschulen steigere, in weitere Studienplätze zu investieren. „Wir brauchen hier dringend mehr Steuerung an den Universitäten, hin zu mehr Daseinsversorge.“
Apropos Daseinsvorsorge: „Ebenso dringend wie approbierte Kolleginnen und Kollegen sind in unseren Apotheken gut ausgebildete PTA gefragt“, stellt Dr. Klaus Michels, Vorsitzender des Apothekerverbandes Westfalen-Lippe heraus. Das Berufsbild gebe es seit 1973, daher erreichten jetzt auch die ersten PTA die Altersgrenze. „Mit Wegfall des Landeszuschusses haben wir bereits zahlreiche Ausbildungsplätze an den PTA-Schulen verloren“, so Michels, der zugleich die SPD kritisierte: „Martin Schulz fordert das Recht auf Gratisbildung. Hannelore Kraft will kein Kind zurücklassen.“ Das gelte aber offenbar nur für ein gebührenfreies Studium und demnächst für die kostenfreie Meisterausbildung, nicht aber für die bis zu 400 Euro im Monat teure PTA-Ausbildung. Gabriele Regina Overwiening ergänzte: „Wir sind der einzige freie Beruf in diesem Land, der seinem Nachwuchs die Ausbildung finanzieren muss.“ Dies sei auf Dauer für die Apothekerschaft nicht zu tragen.
„Die Streichung des Landeszuschusses war ein Beitrag zur Haushaltskonsolidierung“, verteidigten Scheffler und Steffens die Entscheidung der rot-grünen Landesregierung. Während SPD-Politiker Scheffler ankündigte: „Ich biete beiden Apothekerkammern nach der Wahl gemeinsame Gespräche darüber an, wie wir die PTA-Ausbildung in eine bezahlbare duale Ausbildung überführen können“, ist Steffens schon einen Schritt weiter. „Wir haben doch alle alternativen Modelle rauf- und runtergeprüft. Letztlich führt nichts daran vorbei: Wir müssen als Land das Geld in die Hand nehmen, um die Ausbildung zu finanzieren.“
Eine Auffassung, die CDU-Politiker Oskar Burkert teilt: „Wir werden das nach der Wahl ändern“, kündigte der Landtagsabgeordnete an. „Medizinische Heilberufe, PTA, Logopäden und Physiotherapeuten: Für sie alle darf nicht mehr gelten, dass sie ihre Ausbildung aus der eigenen Tasche bezahlen müssen.“ Susanne Schneider wies zudem darauf hin, dass man nicht jeden Apotheker dazu verpflichten können, sich an der Ausbildung für die PTA finanziell zu beteiligen, zumal nicht jede PTA im eigenen Landesteil und in der öffentlichen Apotheke tätig werde. Am Ende einer sehr lebhaften Diskussionsrunde bilanzierte Moderator Dr. Norbert Tiemann dann allenthalben Einigkeit: „Bei allen Parteien besteht der Konsens, dass die Ausbildung der PTA nicht mehr von der Apothekerschaft bezahlt werden soll.“
Einstimmigkeit über alle Parteigrenzen hinweg. Fast.
Große Einigkeit angesichts des Ernstes der Lage herrschte im zweiten und mit Spannung erwarteten Teil der Diskussion, der ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Oktober 2016 thematisierte. Es hat das Potenzial, die Arzneimittelversorgung in der Fläche ernsthaft zu gefährden: Der EuGH hatte entschieden, dass ausländische Versandapotheken sich nicht an die Arzneimittelpreisbindung halten müssen und stattdessen Boni gewähren dürfen. „Im Kern geht es hier um den Erhalt der Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel. Diese ist der Grundstein für die flächendeckende Versorgung. Wenn man diesen Stein herauszieht, haben wir eine absolute Erosion, dann bricht das ganze Haus zusammen“, formulierte Dr. Klaus Michels unmissverständlich. Die Krankenkassen müssten mögliche Spielräume nutzen, es würde selektiert. „Dann hat die einzelne Apotheke in der Fläche keine Chance mehr.“
Über alle Parteigrenzen hinweg – mit Ausnahme von FDP-Frau Susanne Schneider – befürworteten die Diskutanten das von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) auf den Weg gebrachte Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, um die Versorgung vor Ort sicherzustellen. Das Problem: Gerade von Seiten des Koalitionspartners SPD kommt im Bund noch Widerstand, während sich die Länder im Bundesrat mit großer Mehrheit für diese Maßnahme ausgesprochen haben.
Entsprechend groß war auch die Erwartungshaltung des Auditoriums an den SPD-Landtagsabgeordneten Michael Scheffler, den Einfluss der Landes-SPD auf die Kollegen auf Bundesebene geltend zu machen. Er sprach sich eindeutig ebenso für das Versandhandelsverbot aus, so wie es die NRW-Landesregierung auch durch ihre Stellungnahme im Bundesrat getan habe. „Hier zeigen wir klare Kante.“ Er versprach, die Bedeutung des Versandhandelsverbotes weiterhin auf die Bundesebene zu tragen. „Wir nutzen aus Nordrhein-Westfalen unsere politischen Stränge.“ Die SPD sei jedoch auf allen Ebenen eine demokratische Partei, und man könne nicht einfach von NRW aus den Kollegen im Bund vorschreiben, was diese zu tun hätten.
Die Grünen sitzen im Bund zwar nicht auf der Regierungsbank, doch auch bei der dortigen Oppositionspartei gibt es unterschiedliche Haltungen zum Versandverbot in Bund und Land: „Cordula Schulz-Asche als Sprecherin im Bund und ich sind da nicht einer Meinung“, sagte NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens. Beim Thema Versandverbot sei ihre Kollegin Melanie Huml von der CSU in Bayern plötzlich zur besten Freundin geworden: „Beide Bundesländer haben sowohl große Städte als auch viele ländlich geprägte Regionen.“ Daher sehe man hier die gemeinsame Aufgabe, die Versorgung überall zu sichern. „Wir brauchen das Versandverbot und ich bedauere es sehr, dass sich Herr Gröhe mit seinem Gesetzesentwurf noch nicht durchgesetzt hat.“
Kritikern, die befürchten, ein Versandverbot sei juristisch nicht haltbar, entgegnet Steffens: „Wenigstens versuchen sollten wir es.“ Zur Rechtmäßigkeit eines Verbotes hat auch CDU-Mann Oskar Burkert eine klare Meinung, stellt sich auf Steffens‘ Seite und wendet sich gegen den Koalitionspartner im Bund: „21 von 28 Ländern in der Europäischen Union haben ein Versandhandelsverbot, und die SPD macht daraus so ein Drama.“ Burkert weiter: „Es geht um die Sicherheit der Menschen, auch und gerade in den ländlichen Bereichen.“ Hier könne der Versandhandel nicht helfen, denn „was ist denn mit der Notversorgung am Freitagabend, samstags und sonntags? Wer soll denn die Menschen versorgen? Hier ist eine Versorgungssicherheit notwendig. Wir brauchen Sicherheit für die Menschen, deshalb muss dieses Verbot kommen.“
Mit der FDP, daran ließ Susanne Schneider keinen Zweifel aufkommen, ist ein Versandhandelsverbot mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln nicht zu machen. In der Diskussion stellte sie klar: „Wir sind eine Partei des Wettbewerbs. Und Sie können nicht von uns erwarten, dass die FDP, die sich regelmäßig gegen alle Reglementierungen ausspricht, hier nach einem Verbot schreit.“ Sie wolle die Vorort-Versorgung lieber durch eine bessere Honorierung der Abgabe beratungsintensiver Arzneimittel oder Sicherstellungszuschläge für Apotheken im ländlichen Raum sichern.
Die erste, die sich gegen den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ausgesprochen hatte – auch schon vor dem EuGH-Urteil – war Kathrin Vogler, Gesundheitspolitische Sprecherin von „Die Linke“ im Bundestag. So positionierte sie sich auch in der Stadthalle Hiltrup eindeutig pro Gröhes Gesetzesvorhaben: „Ich begreife nicht, warum sich die Kollegen von SPD und Grünen so sperren.“ Vielmehr möchte sie die Zuzahlung auf Arzneimittel generell abschaffen, damit es keinen finanziellen Anreiz mehr gebe, im Versandhandel zu bestellen. Sie verprach: „Wir bleiben dran!“
Mit dem Irrglauben, dass ein Fall der Preisbindung die Arzneimittelversorgung preiswerter mache, räumte abschließend Overwiening auf: „Preiswerter als über die deutsche Apotheke geht die Versorgung nicht. Wir haben einen Wertschöpfungsanteil von 2,3 Prozent aus dem Volumen der Gesetzlichen Krankenkassen.“
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