Apotheker wollen sich als ökonomisch versierte Heilberufler profilieren
(Münster, 30. Mai 2007) Seine Antwort: "Es gibt kein Entweder-oder", sondern nur ein entschiedenes Sowohl-als-auch. Wir Apotheker können nur dann bestehen, wenn wir uns als ökonomisch versierte Heilberufler profilieren. Priorität hat die Pharmazie, denn diese ist die Grundlage der ökonomischen Betrachtung."
Friese machte vor den 121 Delegierten deutlich, dass die inhabergeführte, freiberufliche und mittelständische Apotheke zwei entscheidende Wettbewerbsvorteil gegenüber allen möglichen Wettbewerbern habe: "Niemand überbringt das Arzneimittel schneller, sicherer und kostengünstiger an den Patienten als die öffentliche Apotheke. Und niemand kann sich besser als wir den anstehenden Zukunftsthemen - von der pharmazeutischen Betreuung einer immer älteren Bevölkerung bis zur Abgrenzung wirksamer Arzneimittel von zunehmenden Fälschungen und dubiosen Wundermitteln widmen." Die öffentliche Apotheke stehe für unabhängige Beratung. Das führe regelmäßig dazu, dass in den Apotheken auch von der Abgabe eines Arzneimittels abgeraten werde, so Friese. "Wir stellen fest, dass in Ländern mit Apothekenketten bzw. kettenähnlichen Strukturen die Pharmazie in den Hintergrund rückt und verstärkt die Absatz- und Umsatzzahlen in den Vordergrund rücken."
Arzneimittelausgaben: „Preiswerte" Senioren
Der Präsident der Apothekerkammer räumte zugleich mit einem im wahrsten Sinne des Wortes alten Vorurteil auf: „Es ist ein völliger Irrglaube, dass Senioren den Großteil der Arzneimittelausgaben verursachen. Wir stellen mit Blick auf jüngste Studien fest, dass die Gruppe der 50- bis 69-jährigen Patienten heute 37 Prozent der Krankheitskosten verursacht, während es bei den über 70-jährigen „nur" 35 Prozent sind. Berechnet man die Durchschnittskosten pro Patient, dann gibt es einen weiteren Spitzenreiter: Die Gruppe der 40- bis 49-jährigen. Dies liegt, so Friese, an der altersspezifischen Häufung von Krankheiten, die mit sehr teuren Medikamenten behandelt werden. So finden sich in den mittleren Altersgruppen besonders viele Patienten, die mit vergleichsweise teuren Interferonen und Antidepressiva behandelt werden. Das Fazit des Kammerpräsidenten: „Wenn unsere Gesellschaft also immer älter wird, führt das nicht automatisch dazu, dass die Arzneimittelausgaben explodieren. Kostensteigerungen sind eher auf den verstärkten Einsatz von innovativen, teuren Arzneimitteln zurückzuführen.
Zahl der Apotheken sinkt
Die Zahl der Apotheken in Westfalen-Lippe, die bereits im Geschäftsjahr 2006 marginal von 2.246 auf 2.243 gesunken war, ist auch in den ersten Monaten des Jahres 2007 leicht rückläufig. Zehn Neugründungen stehen bisher 16 Schließungen gegenüber. Noch bedenklicher ist, dass die Zahl der Selbstständigen auf den geringsten Wert seit zwei Jahrzehnten gesunken ist - im Geschäftsjahr 2006 von 2.100 auf 2.050 (- 2,4 Prozent) und bis zum Stichtag 31. Mai 2007 auf nur noch 2.023. Denn 214 Apotheken in Westfalen-Lippe werden mittlerweile als Filialen geführt - dies ist seit In-Kraft-Treten der Gesundheitsreform 2004 rechtlich zulässig. Allein im Geschäftsjahr 2006 kamen 47 Filialen hinzu, von Januar bis Mai 2007 weitere 21. „In den meisten Fällen konnte so die Schließung einer Apotheke durch den Weiterbetrieb als Filiale verhindert werden", so Geschäftsführer Jochen Stahl.
Ebenso wie der wirtschaftliche Druck auf die Apotheken durch die kontinuierlichen Reformgesetze weiter steigt (Vizepräsidentin Gabriele Regina Overwiening: „Allein in den vergangenen 18 Jahren haben die Apotheker 17 Spar- und Reformgesetze erlebt"), wächst auch der Beratungsbedarf in der Apotheke. Allein in Westfalen-Lippe wurden im vergangenen Jahr 250 neue Arbeitsplätze geschaffen.
Auch bei der Fort- und Weiterbildung sind die Westfalen bundesweit füh-rend: „Die Zahl der Teilnehmer an den Fortbildungsveranstaltungen unserer Kammer stieg 2006 um 19 Prozent - von 14.800 auf fast 18.000 Teil-nehmer." Damit hat jeder aktiv im Berufsleben stehende Apotheker durchschnittlich vier Fortbildungen der Kammer besucht", so Apothekerin Overwiening. Hinzu kommen Teamfortbildungen, Veranstaltungen weiterer Anbieter und Online-Schulungen.
Mit den aktuellen Fortbildungszahlen beantwortet sich auch die Frage, die Gastreferentin Dr. Christiane Eckert-Lill (Berlin) in ihrem Vortrag am Nachmittag stellt: „Pharmazeutische Offensive - überflüssig oder zwingend notwendig?" heißt das Thema, dem sich die Geschäftsführerin Pharmazie der ABDA - Bundesvereinigung deutscher Apothekerverbände widmen wird.
In ihrer Frühjahrssitzung befassen sich die Delegierten der Kammerversammlung u. a. auch mit einer Neufassung der Berufsordnung, den Rechnungsabschlüssen 2006 und der Entlastung von Vorstand und Geschäftsführung. Außerdem werden die Delegierten für den Deutschen Apothekertag 2007 in Düsseldorf gewählt.
Anträge zur berufspolitischen Lage
Mit der aktuellen berufspolitischen Lage befassen sich gleich ein halbes Dutzend von Anträgen zur Kammerversammlung, die am Nachmittag von den Delegierten beraten werden. U. a. möchten sie den politischen Entscheidungsträgern zwei Forderungen mit auf den Weg geben: Der Mehrwertsteuersatz für Arzneimittel soll - wie in fast allen europäischen Ländern - von 19 Prozent auf den ermäßigten Steuersatz von sieben Prozent abgesenkt werden, um das Gesundheitssystem finanziell zu entlasten. Eine Refinanzierung könne durch die Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes für gesundheitsschädliche Fast-Food-Produkte von sieben auf 19 Prozent erfolgen.
In einem weiteren Antrag wird das derzeitige Versorgungschaos in den Apotheken seit Umsetzung der Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Arzneimittelherstellern kritisiert. Die Delegierten des Apothekerparlaments fordern alle Beteiligten auf, die Rabattverträge so umzugestalten, dass sie eine dauerhafte Verfügbarkeit der Arzneimittel für jeden Patienten gewährleisten bzw. die Verträge durch praxisgerechte Zielpreisvereinbarungen abzulösen, wie sie von der Apothekerschaft bereits entwickelt wurden.