"Kein Spargesetz direkt nach der Bundestageswahl"
(Münster, 6. September 2013) Ob die Arzneimittelversorgung in ländlichen Regionen, der Milliardenüberschuss der Krankenkassen oder die Diskussion ums Apotheken-Honorar – in einer gesundheitspolitischen Elefantenrunde positionierten sich am Donnerstagabend in der Stadthalle Münster-Hiltrup die Vertreter der vier von Bundestagsfraktionen zu gesundheitspolitischen Themen. Eingeladen hatte die Apothekerkammer Westfalen-Lippe im Rahmen der Kampagne „Gesundheit Wählen“: „Wir wollen nicht mit dem Thema Gesundheit Wahlkampf betreiben, sondern dafür sorgen, dass im Wahlkampf verstärkt Gesundheitsthemen diskutiert werden“, so Kammerpräsidentin Gabriele Regina Overwiening.
Neben Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) saß mit Jens Spahn der talkshow-erprobte Gesundheitspolitische Sprecher der CDU-/CSU-Fraktion auf dem Podium. Für die Grünen sprach die Münsteranerin Maria Klein-Schmeink (im Gesundheitsausschuss des Bundestages), und Kathrin Vogler komplettierte den Reigen der gesundheitspolitischen Schwergewichte – immerhin ist die Politikerin der Linksfraktion stellvertretende Sprecherin des Gesundheitsausschusses. Gastgeberin und AKWL-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening und ein zu pointierten und bissigen Fragen aufgelegter Moderator Dr. Norbert Tiemann (Chefredakteur der Westfälischen Nachrichten) komplettierten das Podium. Im Publikum saßen sie rund 180 Apothekerinnen und Apothekerin sowie einer Handvoll interessierten Bürgern gegenüber, und die bekamen – ganz im Gegenteil zu vielen anderen Veranstaltungen im Wahlkampf – viele glasklare Antworten zu hören.
Die sinkende Zahl der Apotheken gehört zu den Themen, die den Pharmazeuten besonders unter den Nägeln brennt. Seit Beginn von Schwarz-Gelb im Herbst 2009 schlossen in Westfalen-Lippe 130 Apotheken ihre Pforten für immer, vor allem aus wirtschaftlichen Gründen. „Wir sind für den Erhalt des Fremd- und Mehrbesitzverbots, gegen Ketten und für eine starke Freiberuflichkeit und die Niederlassungsfreiheit“, versprach Daniel Bahr. Er wolle nicht, dass Konzerne die Gewinne einstreichen, „aber wir können keine Bestandsgarantie für jede Apotheke geben.“ Maria Klein-Schmeink von den Grünen sieht das – so wie die meisten anderen Grünen-Politiker auf Landesebene – ähnlich: „Wir wollen die Versorgung in Pantoffelnähe erhalten.“ Ihr Problem: Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin fordert derzeit im Wahlkampf das Gegenteil. Davon distanzierte sich die Direktkandidatin aus Münster, was die Apothekerschaft aber nur bedingt beruhigte. Overwiening: „In zwei Wochen sind nun einmal Bundestag- und keine Landtagswahlen.“
Spahn und Bahr mussten sich die Frage gefallen lassen, warum die Bundesregierung zulässt, dass die Gesetzlichen Krankenkassen in den vergangenen Jahren über 30 Milliarden Euro an Rücklagen – sprich mehr als 400 Euro je Versichertem – aufhäufen durften. Tiemann: „Wenn bei den Rentenkassen ein bestimmter Überschuss erreicht wird, sinken automatisch die Beiträge. Warum nicht bei in der GKV?“ - „Dass Finanzlage so gut ist, liegt auch an den Einsparungen bei den Arzneimittelpreisen“, entgegnete Spahn. „ Wir müssen Rücklagen auch mal aushalten, ohne diese gleich wieder zu verteilen.“ Dadurch müssten die Versicherten auch keine Beitragserhöhungen fürchten, und auch die Leistungserbringer im Gesundheitswesen würden geschont: „Wir werden erstmals seit vielen Jahrzehnten in die neue Legislaturperiode starten können, ohne gleich wieder ein Spargesetz auflegen zu müssen.
Forderungen aus der Apothekerschaft nach weiteren Vergütungen für Dienstleistungen erteilte Minister Bahr eine Absage. Über eine verbesserte Honorierung für die Abgabe von Betäubungsmitteln - die Kosten für Beschaffung und spezielle Lagerhaltung übersteigt derzeit in vielen Fällen das Honorar - ließe sich aber reden. Auch Klein-Schmeink sah keine neuen Honorare, kündigte aber an, das Berufsbild weiterzuentwickeln, die Beratung zu stärken und die Apotheker stärker mit den Ärzten zu vernetzen – Stichwort Polypharmazie. Gerade hier, bei der besseren Betreuung von älteren Menschen, die viele Ärzte konsultieren und zahlreiche Arzneimittel gleichzeitig einnehmen, waren sich alle Fraktion darin einig, das Know-how der Pharmazeuten stärker zu nutzen.
Einig waren sich die Diskutanten beim Thema Notdienstpauschale: „Damit stärken wir besonders die Apotheken in der ländlichen Region“, erklärte Linken-Politikerin Kathrin Vogler. Die Extra-Vergütung dieser Gemeinwohlaufgabe sei richtig, „deshalb haben wir dem Gesetz von Schwarz-Gelb auch zugestimmt. Vogler war übrigens diejenige, die sich am klarsten zugunsten der mittelständischen Apotheke positionierte: „Wir wollen den Versandhandel so weit wie möglich einschränken . Denn der geht auf Kosten der ortsansässigen Apotheken. Wer den Versandhandel will, soll bitteschön auch dann online bestellen, wenn er nachts Zahnschmerzen bekommt.“
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