Digitale Kammerversammlung in Westfalen-Lippe

Overwiening nimmt Gematik in die Pflicht: „E-Rezept-Start darf nicht verstolpert werden“

(Münster, 1. Dezember 2021) Ganz im Zeichen der vierten Corona-Welle und der zum Jahreswechsel anstehenden Einführung des elektronischen Rezeptes stand die Herbstsitzung des westfälisch-lippischen Apothekerparlamentes. In der fast siebenstündigen Digitalsitzung richtete Kammerpräsidentin Gabriele Regina Overwiening heute eine klare Botschaft an die Gematik, die auf Bundesebene für die Umsetzung verantwortlich ist: „Das für alle Beteiligten wichtigste Digitalprojekt im Gesundheitswesen aller Zeiten darf nicht verstolpert werden. Wir Apothekerinnen und Apotheker sind startklar für das E-Rezept. Beim Blick auf den ehrgeizigen Zeitplan und den tatsächlichen Umsetzungsfortschritt des Gesamtprojektes wird mir aber angst und bange.“

Seit einer Gesetzesänderung im Mai 2019 hält der Bund 51 Prozent der Stimmanteile an der Gematik GmbH, in der seither alle Beschlüsse mit einfacher Mehrheit erfolgen können. Auf die Leistungserbringer, wie Ärzte- und Apothekerschaft und die Krankenkassen entfallen nur noch 49 Prozent der Stimmen. „Seitdem haben wir mitunter den Eindruck, dass Beschlüsse ohne Bezug zur Praxistauglichkeit und Akzeptanz und mitunter sogar entgegen der Fachlichkeit durchgeboxt werden“, kritisiert Overwiening. Konkret macht sie das am jüngsten Beschluss der Gematik fest, dass die Apothekerkammern nicht mehr nur eine, sondern bis zu acht sogenannte Institutionenkarten (SMC-B) je Apotheke bzw. Versandapotheke mit unterschiedlichen Telematik-IDs vergeben sollen. „Die Ausstattung der Apotheken mit jeweils einer Karte hat fast 18 Monate in Anspruch genommen.“ Damit jetzt fünf Wochen vor dem Start um die Ecke zu kommen, sei verantwortungslos, für den Projekterfolg eigentlich irrelevant und in der Durchführung und Prüfung für die Apothekerkammern faktisch unmöglich. „Wir bewerten dies als ein Lobbygeschenk an die Versandapotheken, die sich durch diesen Schachzug nicht mehr nur einmal, sondern bis zu acht Mal im sogenannten „Verzeichnis-Dienst“ der Telematik-Infrastruktur, also dem digitalen Anbieterverzeichnis und damit letztlich auch per E-Rezept-App der Gematik gegenüber dem Versicherten, präsentieren können.

Die Delegierten der Kammerversammlung wünschen sich stattdessen eine stärkere Befassung der Gematik und des Bundesgesundheitsministeriums mit der Frage, wie praxistauglich die Ausstellung von E-Rezepten in der Arztpraxis über den digitalen Transport und die Einlösung in der Apotheke bis zur Abrechnung derzeit ist. Overwienings Eindruck: Viele Kolleginnen und Kollegen fühlen sich derzeit wie Piloten auf einem neuen Flughafen, der offensichtlich nur über eine Startbahn verfügt, aber weder eine Landebahn noch über eine qualifizierte Organisation des Flugverkehrs durch den Tower anbieten kann.“ Die einzig logische Konsequenz des Bundesgesundheitsministeriums müsse sein, die Testphase des E-Rezepts zu verlängern und Ende-zu-Ende-Tests von der Ausstellung bis zur erfolgreichen Abrechnung zwingend vorzuschreiben. Gerade im Kontext der professionellen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln und der damit in Zusammenhang stehenden Versorgungsqualität ist es daher wichtig und richtig, ausschließlich ausreichend getestete und praktikable technische Lösungen zur Verfügung zu stellen.

Beeindruckende Zahlen aus den Impfzentren in Westfalen-Lippe

Mit beeindruckenden Zahlen aus dem Landesteil Westfalen-Lippe konnte Overwiening in ihrem heutigen Lagebericht aufwarten: Über 2.700 Apothekerinnen, Apotheker und PTA übernahmen auf freiwilliger Basis die Aufbereitung der Impfstoffe und absolvierten dafür fast 41.000 Dienste. Allein in den 28 Impfzenten in Westfalen-Lippe konnten so zwischen Februar und September 5,2 Millionen Impfungen erfolgen. „Hier zeigt sich eindeutig, wie sehr Apothekerinnen und Apotheker zum Impffortschritt beigetragen haben.“ Angesichts des aktuellen Impfnotstandes in Deutschland fügt die Kammerpräsidentin hinzu: „Wenn der Gesetzgeber es will und Verstärkung an der Front der Impfenden gefordert ist, könnten wir Auffrischungsimpfungen in Apotheken ermöglichen.“ Etwa jede sechste bis siebte Apotheke sei dazu gleichsam aus dem Stand in der Lage. Schließlich seien in Westfalen-Lippe schon weit über 300 Apotheker*innen aus über 250 Apotheken im Rahmen eines Modellprojektes zur Grippeschutzimpfung des Apothekerverbandes Westfalen-Lippe durch die Kammer geschult worden. Overwiening: „Viele dieser Apotheken sind mehr oder weniger im Stand-by-Modus.“

Zahl der Apotheken sinkt im 17. Jahr in Folge

Rückläufig bleibt dagegen, und dies im 17. Jahr in Folge, die Zahl der Apotheken im Landesteil. Sie ist von 1.827 zu Jahresbeginn auf nur noch 1.807 gesunken. Weil 477 Apotheken als Filialbetriebe geführt werden, „stecken“ hinter der Gesamtzahl nur noch 1.331 Inhaberinnen und Inhaber. „Das ist der niedrigste Wert seit 1969“, konstatiert Kammerpräsidentin Gabriele Regina Overwiening. Weitere Schließungen sind bereits bis zum Jahresende angekündigt.

Kammerversammlung beschließt Haushaltsplan 2022

Die Delegierten der Kammerversammlung befassten sich in ihrer ganztägigen Sitzung auch mit dem Haushaltsplan für das Jahr 2022. Der Kammerhaushalt wird im neuen Jahr deutlich geringer als die Inflationsrate steigen: „Insgesamt erhöhen sich die Ausgaben der Kammer im neuen Jahr um 82.200 auf knapp 7,9 Millionen Euro. Das ist eine sehr moderate Steigerung um gut ein Prozent“, berichtete Hauptgeschäftsführer Dr. Andreas Walter. Ohne die im Haushaltsplan 2022 vorgesehenen Zuschüsse für eine Stiftungsprofessur an der Universität Münster würden die Ausgaben der Kammer sogar um 1,6 Prozent unter dem Ansatz des Jahres 2021 liegen.

STICHWORT: DIE APOTHEKERKAMMER
Die Apothekerkammer Westfalen-Lippe ist die berufliche Vertretung der 7.947 Apothekerinnen und Apotheker im Landesteil, davon stehen 5.482 aktiv im Berufsleben (zu etwa 85 Prozent in der öffentlichen Apotheke, aber auch in Krankenhausapotheken, Wirtschaft und Verwaltung). In Westfalen-Lippe gibt es aktuell 1.807 Apotheken, so wenige wie seit fast 50 Jahren nicht mehr. Die westfälisch-lippischen Apotheken bieten derzeit fast 17.000 Arbeitsplätze.

STICHWORT: DIE KAMMERVERSAMMLUNG
Die Kammerversammlung ist das oberste Beschlussorgan der Apothekerkammer. Das 97-köpfige Apothekerparlament wird im Fünf-Jahres-Rhythmus gewählt, das nächste Mal wieder im Juni 2024.


Downloads

Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe, hielt ihren Präsidentinnenbericht digital. Fotos: Sokolowski

[Overwiening_Zoom_1.jpg] | JPG (4032x3024 px) | 841 KB

 
Dr. Andreas Walter, Hauptgeschäftsführer der Apothekerkammer Westfalen-Lippe, präsentierte den Kammerhaushalt.

[Walter_Dr_Andreas_Zoom_2.jpg] | JPG (4032x3024 px) | 1,4 MB