8. Westfälisch-lippischer Apothekertag in der Halle Münsterland - und digital

„Wir sind Corona-Jongleure“

(Münster, 11. September 2021) Politische Plädoyers für die Apotheke vor Ort, eine inspirierende Keynote und die gemeinsame Erkenntnis, dass die Apotheken-Teams in den bislang 18 Monaten der Pandemie immer wieder über sich hinausgewachsen sind: Tag eins des Westfälisch-lippischen Apothekertages ist in der Halle Münsterland zu Ende gegangen. 262 Teilnehmer*innen in drei Sälen, dazu 915 Teilnehmer*innen auf der Digitalplattform und 21 Fachaussteller – ebenfalls in digitaler Form – folgten dem Apothekerkongress der Apothekerkammer Westfalen-Lippe. Selbstbewusstes Tagungsmotto: „Mit uns aus der Krise“.

In seinem Grußwort stellte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann die Leistungen der Apotheken vor Ort in der Pandemie heraus, welche „die größte Herausforderung ist, vor der unsere Generation je stand“. Das System habe im Ganzen standgehalten. Man müsse aber auch offen zugeben, dass es Bereiche gegeben habe, in denen man nicht vorbereitet gewesen sei. „Dass wir plötzlich keine Schutzmaterialien mehr hatten, ist der Beweis dafür, dass wir uns zu abhängig gemacht haben von „Just-in-Time“-Bestellungen und ausländischen Lieferketten. Ich bin froh, dass wir nur eine kleine Verordnung machen mussten, damit die Apotheker aus Schnaps Desinfektionsmittel herstellen konnten. Das hat gezeigt, wie schnell man Probleme lösen kann, wenn man die Grundsubstanzen hat. Wir brauchen eine gewisse Unabhängigkeit bei wichtigen Arzneimitteln und Schutzmaterialien innerhalb der demokratischen Staaten Europas.“ Laumann positionierte sich auch zur Struktur des Systems von freien Heilberuflern und stellte sich klipp und klar gegen den Einstieg von Kapitalgesellschaften in den Apothekenmarkt, „die wir nicht brauchen und die mir schon heute in anderen Bereich wie den Zahnarztpraxen große Sorgen bereiten“.

Auch Kammerpräsidentin Gabriele Regina Overwiening hob die vielfältigen Leistungen der Apotheken in der Pandemie heraus. „Wir haben Desinfektionsmittel hergestellt, flächendeckend Teststrukturen aufgebaut und in NRW einige Millionen Impfstoffdosen für die Verimpfung aufbereitet.“ Dazu habe man in kürzester Zeit Millionen Masken an ältere Menschen und Risikopatienten abgegeben und stelle nun die digitalen Impfzertifikate aus. Overwiening weiter: „Diese Bälle sind uns nach und nach zugeworfen worden, und wir haben diese Bälle wie Jongleure aufgenommen und in der Luft gehalten. Wir sind Corona-Jongleure.“

Unverzichtbar ist die Apotheke im Quartier auch für Oberbürgermeister Markus Lewe, wie er in seinem Grußwort verdeutlichte. Gerade in der Pandemie habe es jeder gesehen, so Lewe mit Blick ins Publikum: „Wir brauchen Sie! In der Krise hat sich gezeigt, wie wichtig Ihre Arbeit für die Daseinsvorsorge ist. Allein in Münster haben sich 34 Apotheken an den Testungen beteiligt.“

Lewes Grußwort war Auftakt der politischen Eröffnung mit AKWL-Vizepräsident Frank Dieckerhoff, Dr. Michael P. Kuck, Vorstandsvorsitzender des Apothekengroßhandels Noweda und dem digital aus Bayern zugeschalteten Präsidenten der Bundesapothekerkammer Thomas Benkert: Auch die drei Diskutanten erinnerten sich – moderiert von Oliver Pauli – an die teils chaotischen Zustände in der Pandemie, in der „der Einkaufspreis für Masken teilweise bei 13 Euro pro Stück lag, in der uns Lieferungen beim Umladen in Nairobi abhandengekommen sind“, sagte Kuck kopfschüttelnd ob der damaligen Zustände. Benkert berichtete über die getroffenen Maßnahmen in seiner Apotheke, über Plexiglas und getrennte Teams, „damit wir im Falle einer Infektion innerhalb des Teams die Apotheke nicht hätten schließen müssen“. Das habe auch bedeutet, „dass weniger Personal den unglaublichen Run auf die Apotheken im März bewältigen musste. Das war teilweise unmenschlich.“ Dieckerhoff resümierte, dass man nicht nur die Arzneimittelversorgung aufrechterhalten und zusätzliche Aufgaben gemeistert hätte: „In Nordrhein-Westfalen haben wir in den Impfzentren interprofessionell und auf Augenhöhe mit den Ärztinnen und Ärzten gearbeitet.“

Nach dem Blick in die jüngere Vergangenheit warf die Runde einen Blick auf die Herausforderungen, die mit Einführung des E-Rezepts zum Jahreswechsel auf den Berufsstand zukommen. „Die Apotheken sind auch heute schon digital, wir verstehen das E-Rezept und können den Patienten an die Hand nehmen und ihm erklären, wie es funktioniert – so wie wir uns schon heute Zeit nehmen und den Menschen erklären, wie das digitale Impfzertifikat in die App kommt“, stellte Benkert heraus. Auch Frank Dieckerhoff macht sich hier keine Sorgen: „Die Apotheken sind an die Telematikinfrastruktur angeschlossen und vorbereitet. Wenn es losgeht, sind die Apotheken an Bord.“ Problematisch könne in diesem Zusammenhang der Versandhandel sein. „Hier muss der Ordnungsrahmen stimmen, damit die freie Apothekenwahl unter allen Umständen und ohne Incentives erhalten bleibt.“ Dr. Kuck riet den Apothekern, die Versender im Auge zu behalten: „Das E-Rezept ist für die Versender der letzte Schuss.“ Ziel für den Versand seien zehn Prozent Marktanteil bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. „Das wäre das Aus für 2.000 Apotheken in Deutschland.“ Daher müsse man das Thema ernst nehmen und auf Plattformen als Kanäle in die Apotheke setzen, und zwar auf apothekereigene Plattformen – damit man nicht Gefahr laufe, dass eine solche Plattform plötzlich an große Player im System verkauft werde.

Einen Blick über den Tellerrand gewährte Prof. Hans-Dieter Hermann, Sportpsychologe u. a. der Fußballnationalmannschaft, in seinem inspirierenden Vortrag „Erfolg beginnt im Kopf – Misserfolg auch!“


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Münsters Oberbürgermeister Markus Lewe, Kammerpräsidentin Gabriele Regina Overwiening und NRW-Gesundheitsminister Karl Josef Laumann. Fotos: Leßmann

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Politische Eröffnung mit AKWL-Vizepräsident Frank Dieckerhoff, Dr. Michael P. Kuck, Vorstandsvorsitzender des Apothekengroßhandels Noweda, dem digital aus Bayern zugeschalteten Präsidenten der Bundesapothekerkammer Thomas Benkert und Moderator Oliver Pauli.

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